Trekkies, Tolkien-Jünger und Live-Rollenspieler: Die skurrile Subkultur der Fantasy- und Science Fiction-Fans boomtWer in Orlando im US-Bundesstaat Florida Zahnschmerzen bekommt, dem kann es passieren, dass er ins 23. Jahrhundert reisen muss. Denn in der Praxis von Dr. Denis Bourguignon ist die Zukunft schon heute Realität. Der Zahnarzt, seit seiner Kindheit Fan der TV-Serie „Star Trek“, hat seine Behandlungsräume wie das Raumschiff Enterprise ausstaffiert. Pulsierende Lichter, Schläuche und lebensgroße Figuren von Captain Kirk in jeder Ecke. Der Doktor selbst trägt eine rote Sternenflotten-Uniform, während er den Bohrer schwingt. „Über den Arztstuhl haben wir Teleporter eingebaut. Dann können Sie sich wegbeamen, wenn die Schmerzen zu groß werden“, sagt er lachend.
Auch hierzulande hat die Serie Star Trek eine riesige Fangemeinde. Deren Mitglieder, die „Trekkies“ identifizieren sich stark mit ihrem Science-Fiction-Universum und erscheinen daher oft reichlich verschroben. Auch mittelalterliche Fantasiewelten voller Drachen, Magier und Monster erfreuen sich in dieser Szene großer Beliebtheit. Seit dem Erfolg der Herr der Ringe-Filme erlebt die Subkultur der Science Fiction- und Fantasy-Fans einen Boom. Zehntausende organisieren sich in einschlägigen Clubs, die Zahl der Fans liegt aber wohl noch um ein Vielfaches höher. Die Anhänger alternativer Realitäten rücken so erstmals in Blickfeld der breiten Öffentlichkeit.
Harmloser Mummenschanz oder Realitätsflucht? Manche „Trekkies“ lassen eher Letzteres befürchten. Da gibt es zum Beispiel Florian Heidinger, einen passionierten Marathonläufer aus Dorfen bei Landshut. Der 23-Jährige läuft
stetsauch schon mal in Star Trek-Uniform. Dazu klebt er sich spitze Ohren an, wie Mr. Spock. Oder Ralf Gebhart, dem es besonders die Klingonen, eine außerirdische Kriegerrasse, angetan haben. „Die Klingonen sind die Biker des Universums“ sagt der Münchner Software-Entwickler, der mit Lederjacke und langen schwarzen Haaren auch ohne Verkleidung seinen Idolen recht nahe kommt. In seiner Freizeit nennt er sich Commander SI’neyq Vestai chopwI‘ und macht mit Rüstung, falschem Bart und aufgeklebten Stirnlappen Fantreffen unsicher. Außerdem fährt er quer durch Deutschland zu Seminaren, in denen er die Kunstsprache Klingonisch paukt.In ihrem normalen Leben sind die Raumschiffkapitäne und Zauberer eher graue Mäuse. „Der durchschnittliche Fantasy-Fan ist männlich, zwischen 20 und 30, studiert eine Naturwissenschaft und ist Single.“ So beschreibt Christian Boltner das Klischee. „Gerade für Naturwissenschaftler bieten die Fantasiewelten eine reizvolle Abwechslung von ihrer rationalen Arbeit“, sagt der 28-jährige Mathematiker aus Augsburg. Boltner verfügt über ganze Bücherwände zum Thema Fantasy und ist Mitglied der Deutschen Tolkien Gesellschaft (DTG), die dem Autor der Herr der Ringe-Trilogie huldigt. Anders als der klassische Kaninchenzüchterverein hält die DTG ihre Mitgliederversammlungen gerne in alten Klöstern oder Burgen ab.
Genau wie die Star Trek-Gemeinde, die sich auf sogenannten Conventions trifft, organisiert der Verein die jährliche RingCon im Bonner Hotel Maritim. Knapp 3000 als Elben, Trolle und Zwerge kostümierte Besucher waren dieses Jahr aus ganz Europa angereist. Schauspieler aus den Herr der Ringe-Filmen erzählten von den Dreharbeiten, außerdem konnten die Teilnehmer in Workshops lernen, wie man sich ein Kettenhemd bastelt oder sich mit Schminke und Latexmaske in böse Monster verwandelt. Dazu wurden „gefüllte Orkohren“ gereicht, die sich beim näheren Hinsehen jedoch als getoastete Sandwich-Ecken entpuppten.
Manchen Fans reicht all das noch nicht. Sie wollen aktiver Teil einer fantastischen Welt sein und spielen sogenannte Live-Rollenspiele. So wie Robert Banniza aus Penzberg, der bei Abenteuer-Treffen gern als Ritter antritt. Der 19-jährige Informatikstudent hat gemeinsam mit einem Freund eine Rüstung mit Brustpanzer und Schulterplatten aus Metall gebaut. Nur die Waffen, mit denen nach einem komplizierten Punktesystem gekämpft wird, sind wegen der Verletzungsgefahr aus Schaumstoff.
Bei den Treffen in Wäldern und Burgruinen kommen bis zu 500 Personen zusammen, von denen jeder eine unterschiedliche Figur verkörpert. Die Spielleiter entwickeln dazu eine Hintergrundgeschichte und konfrontieren die Spieler mit immer neuen Ereignissen. Für diese Art der Spiele haben Unbeteiligte nicht immer Verständnis. So mancher Spaziergänger hat sich schon erschreckt, als plötzlich aus dem Unterholz eine Horde warziger Trolle auf ihn zustürzte.
Bei solchen Szenen drängt sich natürlich der Eindruck des Realitätsverlusts auf. Banniza wehrt ab: „Es gibt sicher Leute, die Rollenspiele zu ernst nehmen. Für die Meisten ist es aber nur ein spannender Kurzurlaub.“ Tolkien-Fan Boltner teilt diese Ansicht: „Die Welt von Tolkien ist unglaublich faszinierend, weil in ihr noch die Magie existiert, die in unserer modernen Welt längst verloren gegangen ist. Aber wirklich dort leben möchte ich dann doch nicht.“
Tatsächlich handelt es sich bei den meisten Fantasy-Fans um hochintelligente, sensible Menschen, die durchaus in der Lage sind, die skurrilen Seiten ihrer Subkultur selbstironisch einzuordnen. Dies sieht die Psychologin Dr. Jeanette Schmid von der Universität Heidelberg durch Studien bestätigt: „Die Fans alternativer Realitäten werden von Außenstehenden leicht für Spinner gehalten. Klinisch betrachtet handelt es sich bei ihnen jedoch um ganz normale Menschen.“
Ist es am Ende also doch nur ein Hobby wie jedes andere? Dr. Bourguignon, der Zahnarzt aus Florida, ist sich sicher: „Wenn ich mir eine Star Trek-Uniform anziehe und damit herumlaufe, halten mich die Leute für verrückt. Wenn ich dagegen mit einem Fußballtrikot grölend durch die Straßen ziehe, ist das anscheinend normal. Seltsam, oder?“
© Matthias Fuchs, (DJS-Kurs Feature) Zur Website des Autoren